Der Weiher Er liegt so still im Morgenlicht, So friedlich, wie ein fromm Gewissen; Wenn Weste seinen Spiegel küssen, Des Ufers Blume fühlt es nicht; Libellen zittern über ihn, Blaugoldne Stäbchen und Karmin, Und auf des Sonnenbildes Glanz Die Wasserspinne führt den Tanz; Schwertlilienkranz am Ufer steht Und horcht des Schilfes Schlummerliede; Ein lindes Säuseln kommt und geht, Als flüstre's: Friede! Friede! Friede! — Das Schilf »Stille, er schläft! stille, stille! Libelle, reg' die Schwingen sacht, Daß nicht das Goldgewebe schrille, Und, Ufergrün, halt gute Wacht, Kein Kieselchen laß niederfallen. Er schläft auf seinem Wolkenflaum Und über ihn läßt säuselnd wallen Das Laubgewölb' der alte Baum; Hoch oben, wo die Sonne glüht, Wieget der Vogel seine Flügel, Und wie ein schlüpfend Fischlein zieht Sein Schatten durch des Teiches Spiegel. Stille, stille! er hat sich geregt, Ein fallend Reis hat ihn bewegt, Das grad zum Nest der Hänfling trug: Su, Su! breit', Ast, dein grünes Tuch — Su, Su! nun schläft er fest genug.« Die Linde »Ich breite über ihn mein Blätterdach, So weit ich es vom Ufer strecken mag. Schau her, wie langaus meine Arme reichen, Ihm mit den Fächern das Gewürm zu scheuchen, Das hundertfarbig zittert in der Luft. Ich hauch' ihm meines Odems besten Duft, Und auf sein Lager lass' ich niederfallen Die lieblichste von meinen Blüten allen; Und eine Bank lehnt sich an meinen Stamm, Da schaut ein Dichter von dem Uferdamm, Den hör' ich flüstern wunderliche Weise Von mir und dir und der Libell' so leise, Daß er den frommen Schläfer nicht geweckt; Sonst wahrlich hätt' die Raupe ihn erschreckt, Die ich geschleudert aus dem Blätterhag. Wie grell die Sonne blitzt! schwül wird der Tag. O könnt' ich, könnt' ich meine Wurzeln strecken Recht mitten in das tief kristall'ne Becken, Den Fäden gleich, die, grünlicher Asbest, Schaun so behaglich aus dem Wassernest, Wie mir zum Hohne, die im Sonnenbrande Hier einsam niederlechzt vom Uferrande.« Die Wasserfäden »Neid' uns! neid' uns! laß die Zweige hangen, Nicht weil flüssigen Kristall wir trinken, Neben uns des Himmels Sterne blinken, Sonne sich in unserm Netz gefangen — Nein, des Teiches Blutsverwandte, fest Hält er all uns an die Brust gepreßt, Und wir bohren unsre feinen Ranken In das Herz ihm, wie ein liebend Weib, Dringen Adern gleich durch seinen Leib, Dämmern auf wie seines Traums Gedanken; Wer uns kennt, der nennt uns lieb und treu, Und die Schmerle birgt in unsrer Hut Und die Karpfenmutter ihre Brut; Welle mag in unserm Schleier kosen; Uns nur traut die holde Wasserfei, Sie, die schöne, lieblicher als Rosen Schleuß, Trifolium, die Glocken auf, Kurz dein Tag, doch königlich sein Lauf!« Kinder am Ufer »O sieh doch! siehst du nicht die Blumenwolke Da drüben in dem tiefsten Weiherkolke? O, das ist schön! hätt' ich nur einen Stecken, Schmalzweiße Kelch' mit dunkelroten Flecken, Und jede Glocke ist frisiert so fein, Wie unser wächsern Engelchen im Schrein. Was meinst du, schneid' ich einen Haselstab Und wat' ein wenig in die Furt hinab? Pah! Frösch' und Hechte können mich nicht schrecken — Allein, ob nicht vielleicht der Wassermann Dort in den langen Kräutern hocken kann? Ich geh', ich gehe schon — ich gehe nicht — Mich dünkt', ich sah am Grunde ein Gesicht — Komm, laß uns lieber heim, die Sonne sticht!« Abendlied Der Tag ist eingenickt Beim Wiegenlied der Glocken; Zum Blumenkuß sich bückt Der Tau auf leisen Socken; Die Sterne sammeln sich, Sie winken sich und drehen; Fern hör' ich Tritte gehen, Doch ruhig ist's um mich. Und wie die dunkle Nacht Deckt Land und Meeresgründe, Und was der Mensch vollbracht, Sein Heil und seine Sünde: Vor dir ist Alles klar, Wie Flammenschriften glühen; Wer mag sich dir entziehen, Den je dein Wort gebar? In Demut will mein Herz Vor deinen Thron sich wagen; Es will dir seinen Schmerz, Es will dir Alles sagen. Die Sünd ist seine Not; Hilfst du sie, Herr, nicht tragen, Sie müßte ja mich schlagen Zum ew'gen Seelentod. Wenn aus mir selbst ich bau', So muß mein Werk vergehen; Wenn in mich selbst ich schau', Kann ich nur Schrecknis sehen. Als Kläger schauerlich Stehn meines Herzens Tücke; Doch wenn zu dir ich blicke, Dann wird es hell um mich. Und gläubig hoff' ich noch, Du werdest mir verzeihen; Du sahst mich sünd'gen, doch Du siehst mich auch bereuen. So oft in Demut ich Vor deinem Thron mich funden, So fließt aus Jesu Wunden Ein Tröpflein Blut auf mich. Ich halte mich an dich, Mein Richter und mein Retter, So nun als ewiglich; Vergebens ruft der Spötter: »O spare deine Müh'; Zu groß sind deine Sünden! Und willst du Ruhe finden, So denke nicht an sie!« Wohl unglücksel'ger Pfeil, Er trifft des Schützen Leben: Mein Herr ist stark im Heil, Und mächtig im Vergeben. Wenn mein Gewissen droht, Will ich das Kreuz umfangen; Ach, der daran gehangen, Er kennt ja meine Not! Ich weiß, du zürnest nicht, Schließ ich die Augenlieder, Und Kraft zu meiner Pflicht Gibst du im Schlaf mir wieder. Scheuch böser Träume Nacht Von denen, die dich ehren; Sie können sie nicht wehren, Sie stehn in Schlafes Macht. Ich trau' auf deine Hand, Weil alle deine Güte Und Liebe mir bekannt, Daß sie mich wohl behüte, Und daß ein sichrer Hort Das Übel von mir wende. »O Herr, in deine Hände!« Dies sei mein letztes Wort. Am Morgen Das Morgenrot schwimmt still entlang Den Wolkenozean; Den Gliedern zart mit Liebesdrang Schmiegt sich die Welle an. Ihm folgt die Sonn' im Sphärenklang, Ein roter Flammenkahn; Ein lindes Rauschen grüßt den Tag: Ist es ihr Ruderschlag? Und es erwachen mit Gezisch Die bunten Vögelein; Sie strecken keck aus dem Gebüsch Die Köpflein rund und klein Und tauchen in die Tauluft frisch Die feinen Glieder ein; Die Schnäblein üben sie zumal In Liedern ohne Zahl. Und auch die Blumen senden früh Den leisen Duft ins Land; Um ihre Stirnen winden sie Ein hell Juwelenband. Das Spinnlein selbst mit großer Müh' Braucht die geübte Hand; Es hat sein Netzlein reich gestrickt, Mit Perlenreihn geschmückt. Ich sinne, wem solch heitres Fest Mag zubereitet sein, Und wem zu Liebe läßt sein Nest Das treue Vögelein. Da spricht zu mir der linde West Mit seinem Stimmlein fein: Bist du denn also hart und blind, Du töricht Menschenkind? Was gehst du doch so stumm einher, Wo Alles Jubel singt? Was wandelst du so arm und leer, Wo Alles Gabe bringt, Daß selbst zu Gottes Lob und Ehr' Vom Aug' der Erde dringt Gar manche Träne, daß sie ganz Davon bedeckt mit Glanz? Er ist es, den so minniglich Das Lied der Vögel trägt, Dem mit Gesang so inniglich Der Baum die Zweige regt, Für den die Sonne rings um sich Die Strahlenwimpel schlägt. All Herz tut sich ihm freudig auf: Wach auf, wach auf, wach auf! Am letzten Tag des Jahres (Silvester) Das Jahr geht um, der Faden rollt sich sausend ab. Ein Stündchen noch, das letzte heut, Und stäubend rieselt in sein Grab, was einstens war lebendge Zeit. Ich harre stumm. 's ist tiefe Nacht! Ob wohl ein Auge offen noch? In diesen Mauern rüttelt dein Verinnen, Zeit! Mir schaudert, doch Es will die letzte Stunde sein Einsam durchwacht, Gesehen all, Was ich begangen und gedacht. Was mir aus Haupt und Herzen stieg, Das steht nun eine ernste Wacht Am Himmelstor, O halber Sieg! O schwerer Fall! Wie reißt der Wind Am Fensterkreuze! Ja, es will Auf Sturmesfittichen das Jahr Zerstäuben, nicht ein Schatten still Verhauchen unterm Sternenklar. Du Sündenkind, War nicht ein hohl Und heimlich Sausen jeder Tag In deiner wüsten Brust Verlies, Wo langsam Stein an Stein zerbrach, wenn es den kalten Odem stieß Vom starren Pol? Mein Lämpchen will Verlöschen, und begierig saugt Der Docht den letzten Tropfen Öl. Ist so mein Leben auch verraucht? Eröffnet sich des Grabes Höhl Mir schwarz und still? Wohl in dem Kreis, Den dieses Jahres Lauf umzieht, Mein Leben bricht. Ich wußt es lang! Und dennoch hat dies Herz geglüht In eitler Leidenschaften Drang! Mir brüht der Schweiß Der tiefsten Angst Auf Stirn und Hand. - Wie? dämmert feucht Ein Stern dort durch die Wolken nicht? Wär es der Liebe Stern vielleicht, Dir zürnend mit dem trüben Licht, Daß du so bangst? Horch, welch Gesumm? Und wieder? Sterbemelodie! Die Glocke regt den ehrnen Mund. O Herr, ich falle auf das Knie: Sei gnädig meiner letzten Stund! Das Jahr ist um! Das Spiegelbild Schaust du mich an aus dem Kristall, Mit deiner Augen Nebelball, Kometen gleich die im Verbleichen; Mit Zügen, worin wunderlich Zwei Seelen wie Spione sich Umschleichen, ja, dann flüstre ich: Phantom, du bist nicht meinesgleichen! Bist nur entschlüpft der Träume Hut, Zu eisen mir das warme Blut, Die dunkle Locke mir zu blassen; Und dennoch, dämmerndes Gesicht, Drin seltsam spielt ein Doppellicht, Trätest du vor, ich weiß es nicht, Würd' ich dich lieben oder hassen? Zu deiner Stirne Herrscherthron, Wo die Gedanken leisten Fron Wie Knechte, würd' ich schüchtern blicken; Doch von des Auges kaltem Glast, Voll toten Lichts, gebrochen fast, Gespenstig, würd' ein scheuer Gast, Weit, weit ich meinen Schemel rücken. Und was den Mund umspielt so lind, So weich und hülflos wie ein Kind, Das möcht' in treue Hut ich bergen; Und wieder, wenn er höhnend spielt, Wie von gespanntem Bogen zielt, Wenn leis' es durch die Züge wühlt, Dann möcht' ich fliehen wie vor Schergen. Es ist gewiß, du bist nicht ich, Ein fremdes Dasein, dem ich mich Wie Moses nahe, unbeschuhet, Voll Kräfte die mir nicht bewusst, Voll fremden Leides, fremder Lust; Gnade mir Gott, wenn in der Brust Mit schlummernd deine Seele ruhet! Und dennoch fühl' ich, wie verwandt, Zu deinen Schauern mich gebannt, Und Liebe muß der Furcht sich einen. Ja, trätest aus Kristalles rund, Phantom, du lebend auf den Grund, Nur leise zittern würd' ich, und Mich dünkt - ich würde um dich weinen! Annette von Droste-Hülshoff im Netz Annette von Droste-Hülshoff bei Gutenberg Annette von Droste Hülshoff Gesellschaft |